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„Mein Kind bleibt sitzen, bis alle gegessen haben!“ – Warum?

Kind sitzt mit Eltern am Esstisch.
Muss dein Kind auf euch warten, ehe es am Esstisch aufstehen darf? / Bild © Esther Pueyo, Adobe Stock.

In vielen Familien gibt es die Regel, dass das Kind erst dann vom Tisch aufstehen darf, wenn alle mit dem Essen fertig sind. Aber macht sie wirklich Sinn? Wir sind der Sache auf den Grund gegangen.

Der gewünschte Effekt der Regel

Nicht selten wird Kindern die Regel „Du darfst erst aufstehen, wenn alle mit dem Essen fertig sind.“ nahegelegt. 

Denn … 

  • Wir wünschen uns, dass das Kind lernt, auf andere Menschen Rücksicht zu nehmen. 
  • Hinzu kommt, dass viele Eltern die Zeit der Mahlzeit klar von der Spiel-Zeit abgrenzen möchten. So verinnerlicht das Kind, dass es unterschiedliche Abläufe in der Tagesstruktur gibt, die einander abwechseln. 
  • Dadurch haben Eltern selbst die Chance, in Ruhe eine Mahlzeit einzunehmen, ohne dabei durch das Spiel des Kindes gestört zu werden. 
  • Ein gefüllter Esstisch, besetzt mit Menschen, die man liebt, ist nichts Selbstverständliches. Auch das möchten Eltern dem Kind mit dieser Regel häufig vermitteln. 
  • Später wird diese Regel auch für gemeinsame Mahlzeiten in Kita, Hort und Schule wichtig. Grund genug, sie zu Hause schon zu etablieren.
  • Bei einer gesunden Esskultur verinnerlicht das Kind zudem, dass es auf das eigene Hunger- sowie Sättigungsgefühl hören darf – selbst wenn alle anderen schon satt sind oder aber noch weiter essen.

Diese Regel kann also sehr wertvoll für dein Kind und seine Entwicklung sein. Möglicherweise akzeptiert sie dein Kind und hält sich gern daran. Vielleicht habt ihr aber auch wiederholte Diskussionen oder Gefühlsausbrüche darüber. 

Die Frage, die wir deshalb gern in den Raum stellen möchten: Macht diese Regel wirklich Sinn? 

Helfen Regeln beim Lernen?

Regeln geben uns Halt und Struktur im Leben, sofern sie Sinn ergeben. Werden Sie in einer Gemeinschaft von allen Beteiligten gern verfolgt, fällt es uns leicht, sie umzusetzen. 

Wir Menschen lernen allerdings am besten und nachhaltigsten aus einer inneren Motivation (intrinsische Motivation) heraus und nicht durch das, was uns von außen auferlegt wird.

Möchte dein Kind nicht von sich aus am Tisch sitzen bleiben, bis alle mit dem Essen fertig sind, wird es das vermutlich nur widerwillig tun oder sich sogar komplett sträuben. 

Dann erreichst du letztlich den gegenteiligen Effekt, weil ihr statt einer ausgedehnten Mahlzeit plötzlich Konflikte über die Regel führt. 

Um zu verstehen, warum es überhaupt erst dazu kommt, machen wir zunächst einen Ausflug in den Kopf des Kindes. 

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Die Perspektive deines Kindes

Beispiel: Dein Kleinkind ist früher satt, als alle anderen am Tisch. Du sagst „Bleibe bitte sitzen, bis alle mit dem Essen fertig sind.“

Was es möglicherweise spürt: 

  • „Ich bin schon satt. Ich möchte mich bewegen. Ich möchte aufstehen. Aber ich darf nicht.“
  • „Es dauert ziemlich lange, auf die anderen zu warten.“ (Bedenke: Kinder verinnerlichen das Zeitgefühl erst etwa im Grundschulalter) 
  • „Ich möchte mit den anderen sprechen. Sie reden über etwas, was ich nicht verstehe. Deswegen werde ich lauter, damit sie mich hören.“
  • „Ich habe Wut im Bauch, dass ich nicht aufstehen darf. Es fühlt sich ganz schlimm an. Ich möchte es herauslassen.“

Vielleicht ahnst du bereits, worauf wir mit diesem Beispiel hinauswollen: 

  1. Hängt die Regel in ihrer Umsetzung immer auch vom Alter, den Vorlieben und der individuellen Persönlichkeit des Kindes ab. Für ein Grundschulkind ist es möglicherweise einfacher, sie zu befolgen, als für ein Kleinkind. Dasselbe gilt aber natürlich auch für dich, wenn du etwa rasch isst und dein Kind tendenziell langsamer. 
  2. Es ist wichtig, dass dein Kind versteht, warum es diese Regel gibt. Schließlich soll sie auch Sinn für euch machen.

Deswegen darfst du zuallererst überlegen, warum du die Regel eingeführt hast …

Die Regel hinterfragen

Was du dich also fragen darfst, ist: 

  • Was ist mir bei der Regel wichtig? 
  • Worum geht es mir hier letztlich?
  • Kann ich die Regel auf das Alter, die Entwicklung und die Bedürfnisse meines Kindes anpassen? 
  • Gibt es eine Kompromisslösung?

Du siehst: Es spricht absolut nichts gegen die Regel. Allerdings sollte sie altersentsprechend und realistisch bleiben. 

Hast du deine Begründung für die Regel gefunden oder einen Weg, der sich für dich gut anfühlt, bespreche ihn mit deinem Kind. 

Ansonsten darfst du dir beim Thema Esskultur immer klarmachen, wie dein Kind überhaupt lernt. 

Lernen durch Nachahmung

Auch hier gilt: Am besten lernt das Kind durch dein Vorbild. 

Wenn du also …

  • ganz in Ruhe und mit innerer Gelassenheit isst,
  • dir ausgiebig Zeit für die Mahlzeiten nimmst,
  • den Geschmack und die Konsistenz einzelner Lebensmittel beschreibst,
  • dich aufs gründliche Kauen konzentrierst,
  • zwischendurch mal dein Besteck ablegst, um innezuhalten, 
  • einzelnen Familienmitgliedern Fragen stellst oder ein Gespräch beginnst,
  • nicht im Beisein von Handy, Tablet oder TV isst,
  • noch länger sitzen bleibst am Tisch, selbst wenn du schon satt bist und die anderen noch weiteressen,

dann wird dein Kind früher oder später dasselbe tun!

Sprich: Eigentlich musst du gar nicht so viel von außen steuern. Wenn du bei dir beginnst und schaust, wie du dich selbst bei den Mahlzeiten verhältst, legst du die optimale Basis dafür, wie dein Kind es jetzt und künftig tut. 

Und dennoch gilt natürlich auch hier …

Immer realistisch bleiben

Theorie und Praxis sind häufig zwei verschiedene Dinge. Gerade im hektischen Alltag ist es nicht immer leicht, in der inneren Mitte zu bleiben und Dinge immerzu bewusst anzugehen. Dazu zählt natürlich auch das Essen.

Sei hier also milde mit dir, wenn du überlegst, wie du deinem Kind am Tisch das beste Vorbild sein kannst. 

Wo wir wieder beim Thema „realistisch bleiben“ wären. Denn ja, es gibt vielleicht auch mal Tage, da esst ihr dann eben gemeinsam vor dem Fernseher. Auch das ist okay, sofern es nur gelegentlich vorkommt und nicht die Regel wird. 

Tipps, um das Kind dennoch zu animieren

Natürlich kannst du dein Kind zusätzlich zum Wissen, dass es dich in deiner Ess- und Tischkultur nachahmt, zum Sitzen-bleiben animieren. Etwa, indem du …

  • es durch konkrete, entwicklungsgerechte Fragen in ein Gespräch einbindest. Beispiel: „Hast du heute in der Kita wieder mit Lina gespielt?“, „Was gab es in der Kita heute zum Mittagessen?“, „Was haben Opa und du heute Nachmittag gespielt?“
  • Erzählungen oder Fragen zu eurem Alltag, deinerseits. Beispiele: „Weißt du, was ich heute beim Einkaufen gesehen habe?“, „Ich habe heute Morgen in der Kita gesehen, dass Lina wieder gesund ist. Wie schön!“, „Morgen würde ich gern auf den Spielplatz. Hast du auch Lust dazu?“
  • ihm noch etwas zu trinken einschenkst. Hier solltest du vorher fragen und nicht einfach von dir aus nachschenken. 
  • Obst als Nachtisch anbietest oder aber dein Kind darauf hinweist, dass du einen Nachtisch vorbereitet hast und es bis dahin gern noch am Tisch sitzen bleiben darf. Auch hier gilt: Möchte dein Kind kein Nachtisch, gilt es das zu akzeptieren.
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Fazit

Wie du die oben genannte Regel handhaben möchtest, ist dir als Elternteil überlassen.

Es lohnt sich immer, Regeln oder Strukturen zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Sie sollten in erster Linie zu eurer Lebensrealität passen.

Erzwingen solltest du bei deinem Kind möglichst nichts, denn das bringt nur den gegenteiligen Effekt. Reflektiere eher, wie du dich selbst am Esstisch verhältst. Dein Kind wird es dir ohnehin nachmachen.

Damit bist du ihm ein Vorbild und legst die optimale Basis dafür, dass ihr ausgiebig am Tisch sitzen bleiben könnt, bis alle aufgegessen haben. 

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Quellen

  • Davies, Uzodike, van Loon, Wirth (2022). Das Montessori Baby. Geborgen und mit offenen Sinnen ins Leben starten. Weinheim: Verlagsgruppe Beltz.
  • Largo, Remo H. (2016). Babyjahre. Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren (18. Auflage). München/Berlin: Piper Verlag GmbH.
  • Perls, Frederick S., Hefferline, Ralph F., Goodman, Paul (2015). Gestalttherapie. Grundlagen der Lebensfreude und Persönlichkeitsentfaltung. (9. Auflage). Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.
  • Institut für Hirnforschung Universität Bremen, Roth.G, (2016): DIE BEDEUTUNG DER MOTIVATION FÜR DEN LERNERFOLG. https://uol.de/fileadmin/user_upload/diz/bilder/Bilder_PW/PW2016/Prof._Dr._Gerhard_Roth_PW2016.pdf (abgerufen am 19.07.2024.)
Veröffentlicht von Leonie Illerhues

Leonie war nach ihrem Studium der Heilpädagogik lange im Schulhort-, Kita- und Krippenbereich tätig. Erziehungs- und Entwicklungsthemen im Baby- und Kleinkindalter sind deshalb ihr Steckenpferd. Seit 2022 ergänzt Leonie unser Team mit diesem Schwerpunkt.

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