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Vor dem Kind streiten – wann das sogar gut sein kann

Kind sitzt vor Eltern, die streiten und schaut angestrengt.
Hättest du gewusst, dass so mancher Streit auch ruhig mal vor dem Kind ausgetragen werden kann? / Bild ©Prostock-studio, Adobe Stock.

Lass uns nicht vor dem Kind streiten!“ – Wir sagen: Genau das könnt ihr gelegentlich tun, sofern ihr es bewusst macht. In diesem Artikel erfährst du, warum.

Als Eltern möchten wir das Kind vor so vielem Unheil, wie nur möglich, bewahren. Wir sind bedacht, alles, was nicht für seine Ohren bestimmt ist, auch nicht vor ihm zu benennen.

Dazu zählt für viele Eltern auch das Streiten.

Allerdings kann genau das – in Maßen und mit den richtigen Themen – auch förderlich für die Kindesentwicklung sein. 

Denn …

Die Vorteile von „richtigem Streiten“ für die Kindesentwicklung

Wenn ihr euch gelegentlich vor eurem Kind streitet, schult das seine …

  • Emotionale Intelligenz: Dein Kind lernt von Anfang an, dass Konflikte ein Teil des Lebens sind. Zusätzlich kann es verstehen, dass zwei Menschen unterschiedliche Gefühle und Meinungen haben können und diese teilen (müssen), damit ein Konflikt sich auflösen kann. Es wird dadurch später möglicherweise ein feines Gespür für seine eigenen Empfindungen und die anderer Menschen haben. 
  • Kommunikation: Bei einem gesunden Streit zuzuhören, trainiert die eigene Kommunikationsfähigkeit. Dein Kind kann dadurch eher erkennen, was aufmerksames Zuhören ist, wie man in einem Konflikt antworten und für eigene Empfindungen respektvoll einstehen kann. 
  • Konfliktlösestrategien: Dein Kind lernt obendrein, dass es Kreativität und Offenheit braucht, um einen Konflikt zu lösen. 
  • Sicherheitsgefühl: Durch gesundes Streiten vermittelst du deinem Kind ein realistisches Bild von menschlichen Beziehungen. Wenn ihr als Eltern den Streit achtsam beenden könnt, verstärkt das sein Sicherheitsgefühl. Dadurch versteht es, dass Konflikte nicht direkt etwas Negatives bedeuten müssen. 

All diese Lernerfahrungen legen die Basis für die Art und Weise, wie dein Kind jetzt und später selbst mit Herausforderungen, Barrieren und Konflikten umgeht.

Sofern ihr mit Bedacht streitet …

Oberste Priorität dabei hat deine Begleitung

Damit das Kind diese Lernerfahrungen auch machen kann, hat deine und eure sprachliche Begleitung als Eltern absolute Priorität. 

Ohne sie wird dein Kind seine Beobachtungen nicht integrieren können und es könnte sich sogar der gegenteilige Effekt einstellen. 

Hier deshalb ein Beispiel für eine sprachliche Begleitung des Kindes. 

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Beispielsituation

Ihr räumt den Esstisch mit eurem Kind ab. Du hast erneut vergessen, die Spülmaschine auszuräumen und der andere Elternteil ist sauer. Ein Streit bahnt sich an. 

Nimm dein Kind sprachlich mit, im besten Fall vorher, falls nicht anders möglich, unbedingt danach. 

Beispiel:

  • „Wenn wir wütend aufeinander sind, ist es wichtig zu sprechen. Nur so kann die Wut Raum bekommen. Danach lassen wir sie los, damit ein anderes Gefühl kommen kann.“
  • „Missverständnisse oder Herausforderungen zwischen Menschen gehören zum Leben dazu.“
  • „Sie sind Teil jeder menschlichen Beziehung.“
  • „Ich darf anderer Meinung sein als andere Menschen.“ 
  • „Ich darf andere Empfindungen haben als andere Menschen.“
  • „Es ist möglich, gemeinsam Kompromisse zu finden.“
  • „Es ist möglich, einen Konflikt über Sprache zu lösen.“
  • „Es ist okay, wenn wir nicht sofort einen Kompromiss oder eine Lösung finden. So etwas braucht Zeit. Deswegen spricht man darüber.“
  • „Ein Konflikt bedeutet nicht gleich Trennung oder die Ablehnung der anderen Person.“

Bleibt dabei immer offen für mögliche Rückfragen eures Kindes. 

Auch hier gilt, wie so oft …

Nachahmung ist alles! 

Seid ihr als Erwachsene unaufgeregt, respektvoll und wertschätzend in eurer Streitkultur, wird das Kind genau das auch verinnerlichen. 

Das gelegentliche Vorleben dieser „simplen“ Streitthemen kann damit das Fundament für eine gesunde emotionale Entwicklung des Kindes legen. Obendrein stärkt es sein Selbstbewusstsein. 

Hinzu kommt, dass eine solche Streitkultur natürlich auch eure Familienbande vertieft. 

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Wenn ihr nie vor dem Kind streitet

Bekommt dein Kind wirklich nie mit, wie ihr euch als Eltern streitet, macht es diese Lernerfahrungen entweder gar nicht oder erst später in Kita, Schule und Freizeit. 

Dann wird es ihm womöglich schwerer fallen, Konflikte auszuhalten oder seine eigene Meinung zu sagen. Sein Bedürfnis nach (augenscheinlicher) Harmonie wird durch Konflikte dann enorm herausgefordert und löst möglicherweise einen innerlichen Stress hervor. 

Ohne diese inneren Konfliktlösestrategien werden Missverständnisse und Herausforderungen dadurch größer, als sie eigentlich sind.

Im Übrigen bekommt dein Kind genau mit, wenn langfristig ein Unbehagen im Raum liegt. Dafür müsst ihr euch nicht mal vor ihm streiten. Gerade im Kindesalter hat der Mensch sehr feine Antennen für die Schwingungen und Gefühle im Raum. Es bringt daher ohnehin wenig, wenn du langfristig vor deinem Kind so tust, als sei alles in Ordnung, obwohl es das nicht ist.

Streitthemen, die nur euch betreffen

Es gibt Themen, die sind einfach nicht für Kinderohren gedacht. 

Trennungsgespräche, langjährige Vorwürfe, finanzielle Angelegenheiten, Streit mit den Großeltern, Sex, Erziehungsfragen: Alles, was euch als erwachsenes Eltern-Paar in eurer Verantwortung betrifft und was auch Auswirkungen aufs Kind hat, sollte niemals vor dem Kind ausgetragen werden. 

Zu viel vor dem Kind streiten schadet auch

Als Eltern seid einzig ihr in der Verantwortung. 

Wenn ihr euch zu oft vor dem Kind streitet, könnte es auch zügig Angst bekommen, dass die Familie ins Wanken gerät. Emotionaler Stress und ein Verantwortungsgefühl für die Unzufriedenheit der Eltern kommen häufig noch hinzu. 

Für eine gesunde Entwicklung muss das Kind sich stabil, geborgen und sicher fühlen. Bekommt es nahezu jeden Streit mit, verringern sich genau diese so wichtigen Gefühle.

Absolute No-Gos vor dem Kind

Diese Dinge solltet ihr in einem Streit vor dem Kind IMMER vermeiden, da sie große emotionale Schäden verursachen können:

  • das Kind in den Streit einbeziehen
  • das Kind nach seiner Meinung fragen
  • das Kind im Eifer des Gefechts als Beispiel nehmen – Beispiel: „Ich will aber nicht, dass Lou heute bei deinem Vater übernachtet!“
  • Demütigungen 
  • Brüllen
  • Aggressivität
  • sich körperlich angehen (!)

Falls es doch mal dazu kommt …

Falls es bei einem Streit doch mal zu unschönen Situationen kommen sollte, zögere nicht, jetzt professionelle Hilfe hinzuzuziehen. 

Nur so kannst du einer möglichen emotionalen Belastung des Kindes entgegenwirken.

Denke daran: Du darfst dich immer entlasten, beraten und begleiten lassen.

Fazit

Es kann förderlich für die emotionale Entwicklung deines Kindes sein, wenn ihr gelegentlich vor ihm streitet. 

Es sollte nur nicht bei jedem Streit der Fall sein, denn eure Konflikte gehören euch und ihr alleine seid für sie verantwortlich. Obendrein gibt es Themen, die absolut nicht für Kinderohren gedacht sind, da sie das Kind unnötig belasten oder emotional unter Stress setzen.

Seid hier also sehr bewusst und sorgsam. 

Falls es bei einem simplen Streitthema dann mal dazu kommen sollte, begleitet das Ganze vorher oder nachher sprachlich mit dem Kind. Bleibt immer offen für die Rückfragen eures Kindes. 

Sofern ihr ihm eine offene, liebevolle und wertschätzende Kommunikationskultur vorlebt, seid ihr hier der sicheren Seite.

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Quellen

  • Bürgin, Dieter (1993). Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter. Stuttgart: Gustav Fischer Verlag.
  • Caby, Filip und Andrea (2011). Die kleine psychotherapeutische Schatzkiste. Tipps und Tricks für kleine und große Probleme vom Kindes- bis zum Erwachsenenalter. (2. Auflage). Dortmund: Borgmann Media.
  • Dilling, Horst, Freyberger, Harald J. (2016): ICD-10. Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen. (8. Auflage). Hogrefe Verlagsgruppe.
  • Greving, Prof. Dr. Heinrich, Ondracek, Prof. Dr. Petr (2010): Handbuch Heilpädagogik. (2. Auflage) Troisdorf: Bildungsverlag EINS GmbH.
  • Perls, Frederick S., Hefferline, Ralph F., Goodman, Paul (2015). Gestalttherapie. Grundlagen der Lebensfreude und Persönlichkeitsentfaltung. (9. Auflage). Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.
  • Siegel, Elaine V. (1997): Tanztherapie. Seelische und körperliche Entwicklung im Spiegel der Bewegung. Ein psychoanalytisches Konzept. (4. Auflage) Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.
Veröffentlicht von Leonie Illerhues

Leonie war nach ihrem Studium der Heilpädagogik lange im Schulhort-, Kita- und Krippenbereich tätig. Erziehungs- und Entwicklungsthemen im Baby- und Kleinkindalter sind deshalb ihr Steckenpferd. Seit 2022 ergänzt Leonie unser Team mit diesem Schwerpunkt.

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